Mit Innovation durch die Krise – 4 Ansätze für flow statt wirrer Kreativität

werner-du-plessis-6dDHofabCQ8-unsplash.jpg

Innovation sichert Überleben. Corona-Impfstoffe sichern die Gesundheit von Risikogruppen und kreative Konzepte die Existenz von Unternehmen und Selbständigen. Kreativität kennt keine Grenzen. Aber warum ist Innovation in der Masse so selten, trotz Design Thinking? Bringen Sie mit dem Teal® OS mehr flow ins Innovationsmanagement.

In jedem Unternehmen gibt es zwei – und nur zwei – zentrale Funktionen: Innovation und Marketing … alles andere produziert nur Kosten. Ich liebe dieses Zitat von Peter Drucker. Es betont, dass Innovationen einen Wert bringen müssen [1]. Aus ökonomischer Sicht ist es der finanzielle Wert, aus kultureller Sicht ist es der soziale Wert. Beides schließt sich im New Business nicht aus.

Innovation ist die Verwertung von Ideen. Das ist der Auftrag für jedes Innovationsmanagement: Es geht darum, mit neuartigen und nützlichen Lösungen für Probleme und Bedürfnisse zur Wertschöpfung der Organisation und zur Zufriedenheit seiner Stakeholder beizutragen.

Der Unterschied zwischen Kreativität und Innovation

Aber Kreativität bedeutet nicht automatisch Innovation. Es gibt einen wesentlichen Unterschied, der oft zu Missverständnissen führt: Kreativität erschafft etwas Neuartiges, etwas Originelles und Individuelles. Innovation legt den Fokus jedoch auf die praktische Umsetzbarkeit, auf den wirtschaftlichen Nutzen. Mark Runco, einer der führenden Experten in diesem Feld, stellt diese Polarität mit einem Kontinuum dar [2]. Kreativität fokussiert die subjektive Qualität einer Idee. Innovation fokussiert den objektiven Nutzen.

Aus diesem Unterschied ergibt sich ein „Krieg der Paradigmen”, den wir häufig in unserer Arbeit erleben. NOWtation arbeitet einerseits mit Newcomern, zum Beispiel mit jungen Künstlern, und andererseits mit Führungskräften und Business-Teams. Beide Seiten haben limitierte Blickwinkel. Das Teal® OS führt sie zusammen.

Wunsch und Wirklichkeit im Innovationsmanagement

Stellen Sie sich folgendes vor. Sie nehmen an einem Online-Workshop zum Thema Innovationsmanagement teil. Plötzlich ruft eine Marketing-Mitarbeiterin: „Hey Leute, wir müssen einfach kreativer sein. Fail fast, learn fast!” Nehmen Sie jetzt die Perspektive des Monteurs ein, der jeden Tag dafür sorgt, dass elektrischer Strom in 500 Haushalte fließt. Randnotiz: Sie befinden sich im Workshop eines Energieversorgers. „Wenn ich am Stromkasten einen Fehler mache – denkt sich der Monteur – hat das andere Auswirkungen als eine gescheiterte Idee”. Haben wir es mit unvereinbaren Sichtweisen zu tun?

Ein zweites Beispiel aus der Praxis: In der Kunst gibt es die Auffassung, dass das Werk für sich steht. „Bildende Kunst ist vorsprachlich”, habe ich gelernt – und das stimmt. Gleichzeitig leben wir derzeit wieder im Lockdown. Die Künstlerhäuser sind geschlossen, die Museen haben zu. Welche neue Sprache entwickeln KünstlerInnen, um im virtuellen Raum ihre Stimme zurück zu gewinnen? Abwarten, bis Corona vorbei ist? Oder doch „fail fast, learn fast” mit System?

Sichtweisen verknüpfen oder Methoden durchprügeln?

Wie schafft man es, dass aus solchen Situationen kreative Lösungen – oder gar Innovationen – entstehen? Manche würden sagen, das sei unmöglich. Ich sage: Der erste limitierende Faktor ist die Perspektive der Innovationsmanager:innen und Kreativitätsexpert:innen. Meiner Wahrnehmung nach gibt es in diesen Bereichen eine starke Tendenz, sich an Methoden entlang zu hangeln. Gescheiterte Prozesse werden schnell der Gruppe zugeschrieben, anstatt die Methode und deren Anwendung zu hinterfragen.

Das Design Thinking bietet eine faszinierende Methodologie. Dafür danken wir Herbert Simon, IDEO-Entwickler Dave Kelley und all den anderen Pionieren! [3,4] Aber es ist nun mal „nur” eine Methode. Sie motiviert, wie viele Methoden aus dem agilen Umfeld, zu einem sehr formalen Vorgehen. Darin steckt das Risiko, dass nahezu alles auf den äußeren Ablauf reduziert wird. Man hangelt sich – der Form halber – von Schritt zu Schritt. Ein solcher Ansatz resultiert in stumpfer Methodenvermittlung, ohne das Verständnis und den Handlungsspielraum der Menschen zur erweitern.

Ganzheitlich ansetzen mit dem Teal Approach

Damit die Verwertung von Ideen in der Praxis leichter gelingt, basieren unsere Maßnahmen auf einem Integralen Seminardesign. Wir nennen es auch Teal® Operating System, in Anlehnung an den Integralen Ansatz der Organisationsentwicklung von Frederic Laloux [5]. Das Teal OS dient als Framework, Praxis und Roadmap. Es erlaubt einen ganzheitlichen Blick auf die Bedingungen und Bedarfe im Innovationsprozess.

Innovation folgt einem mehrstufigen Prozess, in dem Ideen zu neuen bzw. besseren Produkten, Dienstleistungen oder Prozessen geführt werden. Ideen bilden sozusagen den „Rohstoff” für Innovation. Im wirtschaftlichen Kontext sollten die Ideen einen Nutzen für die Firma und die Kunden bringen. Im Wirtschaftssystem – in dem wir alle beteiligt sind – sollten Ideen einen Nutzen bringen: für die Firma, für die Kunden, für die Ideengeber. Ansonsten halten Sie sich vielleicht für kreativ, sind aber nicht innovativ.

Innovation ganzheitlich betrachtet: Der 4-Quadranten-Blick

Unser Konzept integriert beide Ansätze. In der Abbildung sehen Sie die Faktoren und Bedingungen für Innovationen zusammen gefasst. Den Hintergrund bilden die vier Quadranten des Integralen AQAL-Modells. AQAL ist das aktuell fortschrittlichste Modell, um die gesunde Entwicklung von Menschen und Organisationen zu beschleunigen. Es wurde maßgeblich von Ken Wilber ausgearbeitet [6]. Mit der Alpha Inspiration haben wir dazu sogar eine Teal® Weiterbildung entwickelt.

Der 4-Quadranten Blick des Teal® Innovation Management. Die linken Quadranten bilden die innere, subjektive Seite; die rechten Quadranten die äußere, objektive Seite. Die oberen Quadranten stehen für das Individuum, die unteren Quadranten für den kollektiv-organisationalen Bereich.

Im 4-Quadranten-Blick sehen Sie den organisationalen Bereich der übergreifenden Strukturen und Verfahren unten-rechts, den Verhaltensbereich der Methoden und Kompetenzen oben-rechts, den sozialen Bereich der Gruppendynamik und der Innovationskultur unten-links sowie den psychologischen Bereich der beteiligten Einzelpersonen oben-links. Die meisten Unternehmen reduzieren die Entwicklung ihres Innovationsmanagements auf den Bereich der Methoden. Alle anderen Bereiche werden kaum oder gar nicht adressiert.

Aus der Integralen Forschung und Praxis wissen wir, dass alle vier Bereiche jederzeit zusammenwirken. Bleibt ein Bereich außer Acht, wird Innovation behindert. Werden stattdessen alle vier Bereiche berücksichtigt und durch gezielte Maßnahmen beeinflusst, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für Innovation. Aus diesem Grund umfasst unser Seminar-Design alle vier Bereiche in ihrem dynamischen Zusammenspiel:

1. Methoden und Kompetenzen für Innovation

Menschen benötigen Werkzeuge, um Innovation voranzutreiben. Aber darüber hinaus benötigen sie auch die Fähigkeit, um diese Werkzeuge in ihr Arbeitsumfeld einzupassen. Dazu zählt die zweckdienliche Anwendung von Kreativ-Methoden, sowie von Tools und Techniken, allem voran dem Design Thinking [7]. Die Einbettung der erlernten Tools wird maßgeblich von der Willenskraft der Person sowie von ihrer Rolle im Unternehmen beeinflusst. Rollen gehen mit Befugnissen und Erwartungen einher, die geklärt werden müssen. In der Praxis ist das selten der Fall. Ebenso sollten die Gütekriterien für erfolgreiche Innovationen formuliert werden. Allzu häufig werden Mitarbeiter zu Ideen angeregt, die aufgrund mangelnder Kriterien abgelehnt werden.

2. Strukturen und Prozesse für Innovation

Kreativität passiert im Spannungsfeld zwischen Chaos und Ordnung. Dazwischen verliert man leicht die Orientierung. Deshalb ist es umso wichtiger, die Systematik von Innovation zu verstehen. Der Weg zu Neuerungen verläuft nicht zufällig, sondern in einem planbaren Prozess mit wiederkehrenden Phasen. In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, dass die Aufgaben und Handlungsspielräume der beteiligten Personen transparent dargestellt sowie mit den übergreifenden Strategien und Richtlinien der Organisation abgestimmt werden. Die enge Fokussierung auf Methoden (oben rechts) lässt diesen Bereich oft in Vergessenheit geraten. Ina Goller und John Bessant gehen in der Vorstellung des „High Involvement Innovation” (HII) darauf ein [8].

Klar muss sein: Innovation bedeutet Change. In welchem Maße das Unternehmen dafür bereit ist, lässt sich durch eine Reifegrad-Prüfung ermitteln. Diese übergreifende Perspektive der Organisationsentwicklung sollte im Innovationsmanagement berücksichtigt werden.

3. Motivation und innere Haltung für Innovation

Neugier ist die psychologische Grundlage für Innovation. Neugier ist einerseits ein Motiv, das Menschen zu neuen Fragestellungen antreibt. Andererseits ist Neugier eine Aktivität, die der Erforschung und Problemlösung dient [9].

Die psychologischen Faktoren für Neugier und Kreativität galten lange als unveränderlich. Avshalom Caspi und Brent Roberts haben diesen Glaubenssatz über Bord geworfen [10]. Heute wissen wir, dass sogar Persönlichkeitseigenschaften, zum Beispiel die Offenheit für Erfahrungen, durch FEBI-Coaching entwickelt werden können.

Auch die innere Einstellung zu Neuerungen ist trainierbar. Dafür sprechen die Arbeiten von Carol Dweck zu Growth Mindset und Fixed Mindset [11]. Die effektivste Stellschraube für Kreativität besteht jedoch in der Herbeiführung von flow-Zuständen: Mit einer optimalen Lenkung der Aufmerksamkeit entwickeln sich Ideen deutlich leichter. Mihaly Csikszentmihalyi und Keith Sawyer betonen diese Mechanismus in der systemischen Kreativitätsforschung [12].

4. Kultur und psychologische Sicherheit für Innovation

Innovation ist – last but not least – ein soziales Phänomen. Es ist ein Mythos, dass nur besonders kreative Individuen zu wertvollen Ideen imstande sind. Die meisten Ideen werden nie ausgesprochen, weil der sichere Rahmen fehlt. Eine Kultur des Vertrauens schafft den notwendigen „Safe Space” für die Äußerung von Ideen und Irrtümern, weiß Amy Edmondson von der Harvard Business School [13].

Ein gemeinsamer Zweck und ein verbindendes Wir-Gefühl beschleunigen die kreative Gruppendynamik im Prozess der Innovation. Der wertschätzende Live-Kontakt zu Kollegen und zu potenziellen Kunden ist in bestimmten Phasen von enormer Bedeutung, um Ideen zu erproben und ihre Umsetzung zu überprüfen. Dadurch gewinnen Menschen nicht nur pragmatische Erkenntnisse, sondern gemeinschaftlichen Zusammenhalt und mehr Sinn in ihrer Arbeit.

Auch hier spielen flow-Zustände eine Rolle: Höhere flow-Level gehen mit höherer Kreativität und Qualität einher. Das fanden Wissenschaftler in verschiedenen Untersuchungen heraus, unter anderem bei Musik-Gruppen [14].

Warum sollte es in Arbeitsteams anders sein?


[1] Drucker, Peter F., & Maciariello, Joseph A. (2008). Management. Harper Collins.

[2] Runco, Mark A. (2014). Creativity. Elsevier.

[3] Simon, Herbert (1969). The sciences of the artificial. MIT Press.

[4] Kelley, Tom (2016). The art of innovation. Profile Books.

[5] Laloux, Frederic (2016). Reinventing Organizations visuell. Vahlen.

[6] Wilber, Ken (2018). The Integral Vision: A very short introduction. Shambhala.

[7] Lewrick, Michael, Link, Patrick, & Leifer, Larry (2019). Das Design Thinking Toolbook. Vahlen.

[8] Goller, Ina, & Bessant, John (2017). Creativity for innovation management. Taylor & Francis.

[9] Szumowska, Ewa, & Kruglanski, Arie W. (2020). Curiosity as end and means. Current Opinion in Behavioral Sciences, 35, 35-39.

[10] Caspi, Avshalom, Roberts, Brent W. (2001). Personality development across the life course. Psychological Inquiry, 12 (2), 49–66.

[11] Dweck, Carol S. (2016). Mindset: The new psychology of success. Random House.

[12] Csikszentmihalyi, Mihaly, & Sawyer, Keith (2014). Creative insight. In The systems model of creativity (pp. 73-98). Springer.

[13] Edmondson, Amy C. (2020). Die angstfreie Organisation. Vahlen.

[14] MacDonald, Raymond, Byrne, Charles, & Carlton, Lana (2006). Creativity and flow in musical composition. Psychology of Music, 34(3), 292-306.


Danke Stephan Druckrey und der Alpha Inspiration GmbH für die Zusammenarbeit.

Banner Photo by Werner Du plessis on Unsplash

Simon Sirch